Bald nach der Rückkehr aus Weißrussland 1948 begann Simeon Pressels Arbeit als Schularzt an der Waldorfschule in Stuttgart (1950-1955). In dieser Phase entstand die „Wadenmassage“: Kinder und junge Menschen waren durch den Krieg traumatisiert und in ihrem Anschluss an die „Mutter Erde“ gestört, was sich durch verschiedene Symptome äußerte. Indem die Waden massiert wurden, konnten diese Menschen wieder „auf die Füße gestellt“ werden und ihr „Gespräch mit der Erde“ weiter gestalten. Bald entdeckte er, dass die Waden buchstäblich Grundlegendes über den ganzen Menschen aussagten, was die Diagnostik am Rücken ergänzte.

Es ist davon auszugehen, dass ab diesem Zeitpunkt der Wechsel zwischen Bein- und Rückenmassage ein wesentliches Charakteristikum dieser Massage wurde. Simeon Pressel hielt sich grundsätzlich daran, einmal die Beine und einmal den Rücken zu behandeln, mit mindestens drei Nächten Pause zur Verarbeitung. (Sehr selten machte er eine Ausnahme: mit einem Rhythmus von 2:1 einige Male hintereinander, wenn der „untere“ oder „obere“ Mensch jeweils eine Betonung brauchten.)

 

GRUNDFORM:

Wir haben im Nachhinein versucht, die ursrüngliche Form dieser Arbeit zu rekonstruieren. Es hat sich eine sehr konzentrierte, zielbewusste Vorgehensweise herauskristallisiert, die für jede Behandlung nur kurze Zeit in Anspruch genommen haben kann.

Wadenmassage:

Bürsten und Einölen

"Harfengriff" mit den Fingerspitzen in der "Rinne" zwischen Knochen und Muskulatur

"Zangengriff" mit den Daumen. Diese beiden Griffe abwechselnd, jeweils am Fuss beginnend. Es wurde damals noch nicht um die Fussknöchel gekreist.

"Abstriche" dazwischen, allerdings nach oben gehend

"Verabschieden", ein kurzes, kräftiges Auf und Ab mit einer Hand, das später verloren ging.

Rückenmassage in Bauchlage:

Bürsten und Einölen

"Merkurlöckchen" an der Wirbelsäule entlang, angefangen an den Schultern, bis zum Sacrum, auf und ab

Aufgreifen des Trapezius mit Abstrichen

"Skiläufer", ein kurzes, kräftiges Auf und Ab mit beiden Händen gegeneinander, beide landen dann unten. Dies ging später verloren.

Seitenlage:

"Merkurlöckchen" vom siebten Halswirbel beginnend abwärts zum Sacrum und aufwärts, auch um das Schulterblatt herum, mit Abstrichen dazwischen.

Genickmassage dreimal auf und ab mit Abstrichen dazwischen.

Zum Abschluss wieder die Bauchlage, wie oben.

Es kann ernüchternd oder aber auch inspirierend sein, die heutigen Variationen mit dieser eher asketischen Grundform zu vergleichen und sich immer mal wieder zu fragen: Was ist der Sinn einer Erweiterung? Ist sie wirklich hier eine Bereicherung, oder nur ein Schnörkel, eine Liebhaberei des Massierenden?

Aber kehren wir zurück zur Beschreibung der Stuttgarter Praxis: